Deutschlandfunk
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12.02.2018

Wenn Unternehmen behaupten, ihre Produkte seien sozial nachhaltig und
umweltverträglich, ist große Skepsis angesagt. Oft genug sei dies eine
dreiste Lüge, die wir als Konsumenten gerne glaubten – warnt Kathrin
Hartmann. Beispiele für dieses Greenwashing führt ihr Buch „Die grüne Lüge“
auf

Von Anne-Kathrin Weber

Mit seinem typisch verschmitzten Lächeln blickt George Clooney in die
Kamera, in der Hand eine Tasse Espresso. Doch der Hollywoodstar trinkt
keinen gewöhnlichen Kaffee in einem gewöhnlichen Hollywoodfilm – in fast
schon kultverdächtigen Werbespots bewirbt er die Kaffeekapseln der Marke
Nespresso. Seit einigen Jahren sind sowohl die Clooney-Werbefilme als auch
die Kaffeeprodukte äußerst beliebt – die bunten Aluminiumkapseln mit
dazugehörigen Maschinen und Accessoires sind in vielen westlichen
Industrieländern fester Bestandteil morgendlicher Kaffeeroutinen geworden.

Damit haben die PR-Strategen von Nespresso laut der Publizistin Kathrin
Hartmann einen Erfolg auf ganzer Linie produziert – nicht nur, weil Clooney
einer der derzeit beliebtesten Filmstars ist, sondern auch so etwas wie das
Gewissen der Branche, das immer wieder auf Missstände in der Welt hinweist.
Clooney verleihe den umweltbedenklichen Kapseln des Mutterkonzerns Nestlé so
ein vertrauenswürdiges Gesicht.

„Ethischer Konsum“ unterstützt grüne Unternehmenslügen

Für Hartmann ist dies nur ein Beispiel von äußerst gelungenem Greenwashing –
also der öffentlichkeitswirksamen Strategie von Unternehmen, ihre Produkte
und Aktivitäten als vermeintlich nachhaltig, sozial engagiert oder
umweltfreundlich darzustellen:

„Und so kommt es, dass ein überflüssiges, überteuertes Kaffeesystem, das
eine Menge Müll produziert, Ressourcen verschwendet und Kleinbauern
ausbeutet, nicht nur als ökologisch unbedenklich gelten kann, sondern sogar
als Wohltat für Mensch, Natur und Klima.“

Die Autorin klagt nicht nur Nestlé an, auch viele andere Unternehmen, die
sie mit charakteristisch sarkastischer Schreibe als, „Ökogranaten“
bezeichnet, seien Meister des Greenwashings. Darunter der Mineralölkonzern
BP, der es nach der Explosion seiner Bohrplattform Deepwater Horizon im Jahr
2010 fast meisterlich geschafft habe, sich von den verheerenden Folgen der
Katastrophe für Umwelt und Mensch reinzuwaschen.

Der vermeintlich aufgeklärte Kunde ist Teil des Problems

Ein anderes Beispiel für erfolgreiches Greenwashing sei die Textilindustrie,
die sich dafür feiern lasse, dass sie neuerdings Bekleidung aus recyceltem
Ozeanplastikmüll auf den Markt bringe. Zum einen verschleiern die Konzerne
damit laut Hartmann die Tatsache, dass ihnen die natürlichen Rohstoffe
ausgehen. Zum anderen lenkten sie mit gezielter Grünfärberei davon ab, dass
die Branche mit ihrer Massenherstellung selbst einen Teil der
Meeresverschmutzung zu verantworten habe:

„Die beste Ozeanjeans ist also die, die gar nicht erst hergestellt wird.
Diese banale Erkenntnis taugt kaum für spektakuläre Weltrettungserzählungen,
wie Unternehmen sie benötigen.“

Schuldig machen sich für Hartmann aber nicht nur Großkonzerne und ganze
Industriezweige, sondern auch kleine Start-ups, die Probleme hinter ihrem
oft gut gemeinten Sozialunternehmertum verdeckten.

Die Autorin kritisiert zudem politische Institutionen auf globaler und
nationaler Ebene, die sich zu „Handlangern“ der Unternehmen machten. Und
auch einige Umweltschutzorganisationen kommen in ihrem Buch gar nicht gut
weg. Der WWF beispielsweise beteilige sich am Übertünchen systematischen
Raubbaus an der Natur, so Hartmann, indem er dabei helfe, problematische
Siegel für problematische Rohstoffe zu vergeben.

Mit erhobenem Zeigefinger

Die schlimmen Folgen von grüner Schönfärberei für Mensch, Tier und Umwelt
hat die Journalistin im Rahmen ihrer Arbeit am Dokumentarfilm „The Green
Lie“ von Werner Boote teilweise aus der Nähe gesehen. Viele der von Hartmann
berichteten Fälle dürften informierten Lesern zwar bekannt sein. Aber genau
hier setzt eine starke These Hartmanns an: Viele – vor allem gut gebildete –
Verbraucher wüssten zwar um die globalen Missstände, richteten sich aber
lieber mit den grünen Lügen ein:

„Greenwashing funktioniert auch deshalb so gut, weil Angehörige westlicher
Konsumgesellschaften gerne hören, dass alles so weitergehen kann wie bisher,
ja, dass ihr überbordender Lebensstil selbst es sein könnte, der dafür
sorgt, die Welt besser zu machen.“

Dieser Irrglaube an den sogenannten „ethischen Konsum“ und angeblich
nachhaltige Technologie führt, der Autorin zufolge, auch dazu, dass sich
unsere Gesellschaften weiter spalten – in diejenigen, die zwar ein hohes
Umweltbewusstsein, aber gleichzeitig sehr oft auch einen hohen
Ressourcenverbrauch hätten, und diejenigen, die sich den vermeintlich grünen
Lebensstil nicht leisten könnten. Das kritisiert die Autorin scharf:

„Denn erstens wird aus einzelnen Einkaufsentscheidungen zwischen
verschiedenen vermeintlich grünen Massenprodukten kein kollektives Ganzes,
sondern höchstens ein privates gutes Gewissen. Zweitens tötet es jede
Solidarität, wenn der Einzelne in einen moralischen Wettbewerb gegen den
Nächsten geschickt wird, in dem der ‚gute‘ auf den ‚bösen‘ Verbraucher zur
eigenen moralischen Erhebung mit dem Finger zeigt.“

Hartmann fordert Engagement gegen Kapitalismus

Hartmanns eigener erhobener Zeigefinger wedelt – oftmals zu Recht – nicht
minder aktiv durch die Kapitel des Buches. Wenig überraschend plädiert die
Autorin dafür, den Kapitalismus als Ganzes zu bekämpfen, der die grünen
Lügen systematisch hervorbringe.

Das energische, aber letztlich doch eher wenig originelle Plädoyer der
Autorin für kleinen und großen politischen Widerstand kann man naiv finden.
Andererseits: Sie glaubt an die Macht des kollektiven Widersetzens. Das ist
ein erfrischender Kontrapunkt zu dem Zynismus, der die Welt an die im Buch
beschriebenen Abgründe gebracht hat.

Kathrin Hartmann:
„Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“
Blessing Verlag, 240 Seiten, 15 Euro