Gleich vorweg gesagt: Der Gärtnerhof Ochsenherz ist an dieser „Piraterie“ beteiligt. Unsere Gärtner sind nämlich über die „Bauernparadeis-Züchtergruppe“, in der der Hof aktives Mitglied ist, im Austausch mit dem unten genannten Bernd Horneburg und dem Umkreis. Eigene Entwicklungen sollen auch bei uns „open source-status“ bekommen…

aus: Spiegel online Donnerstag, 27.04.2017

Eine neue Tomatensorte soll große Agrarkonzerne ärgern. Sunviva, eine Freilandsorte mit kleinen gelben Früchten, hat revolutionäre Nutzungsregeln: Sie darf niemals patentiert werden.

Von Christoph Seidler


Tomate Sunviva: Revolutionäres Gemüse

Die Deutschen lieben Tomaten. Pro Kopf und Jahr verputzen sie in etwa 25 Kilogramm. Ein Drittel davon ist frisch, der Rest verarbeitet, zu Ketchup zum Beispiel.

Sunviva, so viel kann man schon mal sagen, wird zu diesem Verbrauch kaum einen entscheidenden Beitrag leisten. Die Freilandtomate wird nicht in den Gewächshäusern großer Gärtnereien und Agrarbetriebe sprießen, wird nicht die Supermarktauslagen füllen, sondern bestenfalls von Beeten und Blumentöpfen direkt auf die Teller deutscher Hobbygärtner wandern.

Trotzdem hat diese neue Tomatensorte etwas Revolutionäres an sich: Sunviva gehört zu den ersten Pflanzen mit einer sogenannten Open-Source-Lizenz. Das macht die Züchtung, die zudem resistent gegen Kraut- und Braunfäule ist und kleine gelbe Früchte trägt, so besonders.

Die Sorte ist zwar geschützt, aber jeder darf sie kostenlos verwenden und weitergeben, auch Geld damit verdienen. Nur patentieren oder anderweitig schützen lassen darf er sie nicht. Das gilt ebenso für zukünftige Pflanzen, die auf Basis von „Sunviva“ entwickelt werden. So sollen große Konzerne keine Möglichkeit bekommen, sich die Züchtung unter den Nagel zu reißen.

Denn genau das passiere viel zu oft, beklagen Kritiker. „Im Moment sehen wir eine dramatische Konzentration von Agrarchemie- und Saatgutfirmen“, beklagt etwa Ursula Gröhn-Wittern von der Agrarkoordination Hamburg, einem gemeinnützigen Verein, der sich mit Landwirtschaft und Agrarpolitik befasst. So liefere Bayer/Monsanto rund 60 Prozent des weltweiten Saatguts.

Der Rest komme vor allem von weiteren großen Playern, die sich gerade verstärkt zusammenschlössen. In der Tat wurde das schweizerische Unternehmen Syngenta gerade vom chinesischen Chemchina-Konzern übernommen. Außerdem fusionieren die US-Chemieriesen Dow Chemical und Dupont.

„Monopolisierung schreitet ungehindert und unaufhaltsam voran“

Über die Jahre haben große Saatguthersteller gleich mehrere Wege gefunden, wie sie dick im Geschäft bleiben – indem sie verhindern, dass sich Bauern ihr Saatgut selbst heranziehen können. So müssen die jedes Jahr aufs Neue einkaufen, bei mittlerweile immer weniger Anbietern.

Die Agrarfirmen verkaufen sogenanntes Hybridsaatgut, wie im Fall de facto aller Tomaten, bei dem besonders gewünschte Pflanzenmerkmale in der nächsten Generation schon wieder verschwunden sind. Das beruht auf einem biologischen Effekt, durch den Mischlinge zweier Sorten oft sehr leistungsfähig sind – und der in Folgegenerationen schnell abklingt.
Manchmal sind Pflanzen nicht mehr fortpflanzungsfähig, weil ihnen die Pollen zuchtbedingt fehlen.
Oder Patente verhindern die Nutzung von selbst gezogenem Saatgut juristisch, selbst wenn sie biologisch möglich wäre.

„Die Monopolisierung schreitet ungehindert und unaufhaltsam voran“, sagt Johannes Kotschi. Er arbeitet bei Agrecol, einem Verein zur standortgerechten Landnutzung, im hessischen Marburg. Wenn aber wenig Wettbewerb unter den Züchtern herrsche, gehe die Innovation verloren. „Dabei brauchen wir eine große Vielfalt von Kulturpflanzen und Sorten.“
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Doch das genaue Gegenteil passiert. „Die Welternährung basiert zu einem immer höheren Anteil auf immer weniger Arten“, klagt der Agrarforscher Bernd Horneburg von der Universität Göttingen. „Züchtungen werden auf immer größere Gebiete ausgeweitet.“

Horneburg wollte dagegen etwas Praktisches unternehmen. Zusammen mit Kollegen hat er rund zehn Jahre an „Sunviva“ gearbeitet. Kotschi und seine Mitstreiter haben sich die Sache mit der Lizenz für das Saatgut ausgedacht. Sie wollen Open Source Seeds zu einem Dienstleister für Züchter machen, die ihre Pflanzen zum geschützten Gemeingut erklären wollen.

„Wir wollen ein Paralleluniversum zu dem Sektor, der geistige Eigentumsrechte nutzt“, sagt Kotschi. „Wir wollen der rechtlichen Absicherung des Privatsektors durch Patente und Sortenschutz Paroli bieten.“

In den USA gibt es mit der Open Source Seed Initiative (Ossi) ebenfalls Vorkämpfer für freies Saatgut – und doch gebe es da einen Unterschied, sagt Kotschi. Denn beim Ossi-Saatgut seien Weiterentwicklungen eben nicht gegen Patentierungen geschützt. Das habe man anders machen wollen.

AGB, so etwas kennt man eher vom Einkauf im Internet. Tatsächlich stammt das Open-Source-Konzept aus dem Computerbereich. Wie gut es sich auf Pflanzen übertragen lässt, wird sich zeigen müssen. Was passiert zum Beispiel, wenn jemand trotz Lizenz versucht, sich Weiterentwicklungen von „Sunviva“ schützen zu lassen? „Man kann das strafrechtlich verfolgen“, gibt sich Kotschi kämpferisch. Eine mögliche Klage werde man „als Exempel statuieren“.

Zunächst einmal wollen und müssen Kotschi und seine Leute die Idee des freien, aber geschützten Saatguts bekannt machen. Neben der Tomate „Sunviva“ haben sie derzeit eine Sommerweizensorte namens Convento C im Programm. Verhandlungen mit einem Kartoffelzüchter liefen gerade, heißt es. „Die Materie ist komplex, der Ansatz radikal. Aber ich bin optimistisch, dass da mehr kommen wird“, sagt Kotschi.

Erste Erfahrungen mit „Sunviva“ hat Max Rehberg. Er arbeitet beim kleinen Saatguthersteller Culinaris aus der Nähe von Göttingen und hat die Sorte offiziell angemeldet, sodass sie EU-weit gehandelt werden kann. Auf jeder Saatguttüte, auf jedem Topf mit Jungpflanzen darin muss er nun einen Hinweis auf den Nutzungsvertrag abdrucken.

Am Mittwochabend hat Rehberg die Tomate bei einer Veranstaltung in Berlin vorgestellt. Aktuell hat er kleinere Mengen an Saatgut verfügbar. Ab Herbst wolle seine Firma auch größere Bestellungen bedienen können, sagt er. Eines ist Rehberg klar: „Rote runde Standardtomaten sind immer noch das, was die meisten Leute wollen.“ Vielleicht gibt es die ja auch bald mit Open-Source-Lizenz.