KLIMARETTER.info, Donnerstag, 16. Februar 2017

Die Fukushima-Aufräumarbeiten sind noch komplizierter als ohnehin schon angenommen. Sechs Jahre nach dem Super-GAU ist in den havarierten Atomreaktoren noch so viel Radioaktivität, dass der Zutritt nicht nur für Menschen unmöglich ist – auch ein Roboter war innerhalb von zwei Stunden nicht mehr nutzbar.

Von Joachim Wille

Die Aufräum-Arbeiten in den heißen Bereichen der Atomruine Fukushima werden offenbar noch schwieriger und langwieriger als erwartet. Der Grund: Die Schäden im Innern der havarierten Reaktoren sind nach neuen Erkenntnissen schlimmer als von den Experten bisher abgenommen und die Strahlung ist offenbar so hoch, dass die Elektronik von ferngesteuerten Roboter nur kurzzeitig funktioniert.

Block 2 des AKW Fukushima am 27. März 2011:
Niemand weiß genau, was bei der Katastrophe im Reaktor geschah.
(Foto: Tepco/​Kyodo/​Vizpix/​Flickr)

Kürzlich hatte eine Mitteilung des Betreibers Tepco die Öffentlichkeit überrascht, wonach auch knapp sechs Jahre nach dem Super-GAU in Reaktor 2 mit geschätzten 530 Sievert pro Stunde stellenweise extrem hohe Strahlungsintensitäten herrschen. Der bisherige Höchstwert, ermittelt 2012, hatte 73 Sievert pro Stunde betragen. Die Zeitung Asahi Shimbun titelte: „Strahlungsniveau in Fukushima-Reaktor könnte einen Menschen in weniger als einer Minute töten.“

Tepco beeilte sich mitzuteilen, an anderen Stellen im Reaktor seien niedrigere Werte festgestellt worden, zudem trete keine Radioaktivität aus der Anlage aus. Die dort herrschenden Werte von 20 beziehungsweise 50 Sievert pro Stunde allerdings sind ebenfalls alles andere als unbedenklich. Akute Strahlenschäden treten beim Menschen auf, wenn er in einer kurzen Zeitspanne einer Strahlung von einem Sievert ausgesetzt ist. Sechs Sievert lösen eine tödliche Strahlenkrankheit aus. Zum Vergleich: Wer in Deutschland lebt, ist im Schnitt einer Belastung von 0,0021 Sievert pro Jahr ausgesetzt.

Roboter streikt bei zu viel Strahlung

Wie schwierig es sein wird, das teilweise geschmolzene Brennmaterial aus den havarierten Reaktoren eins bis drei zu bergen, zeigte sich jetzt am Schicksal eines Roboters, der im Innern von Reaktor 2 eingesetzt worden war. Das ferngesteuerte Gerät musste gestoppt werden, nachdem eine Kamera ausgefallen war – offenbar wegen zu hoher Strahlung. Die Tepco-Mannschaft hatte gehofft, das geschmolzene Material genauer zu lokalisieren.

Zu Beginn voriger Woche hatte eine Kamera erstmals genauere Bilder von der Situation im Kern von Reaktor zwei geliefert. Die Bilder zeigten eine schwarze Masse unterhalb des Sicherheitsbehälters der Anklage. Tepco zufolge könnte es sich um geschmolzenen Brennstoff handeln, der sich durch den Stahlmantel gefressen hat. Es wäre das erste Mal seit der Havarie vor knapp sechs Jahren, dass die Bergungsingenieure in einem der zerstörten Reaktorblöcke geschmolzenen Brennstoff geortet hätten.

Der jetzt eingesetzte Roboter sollte per Hochdruck-Wasserpumpe Reinigungsarbeiten unterhalb des Druckbehälters durchführen, um dort liegende verschmutzte Schienen freizumachen, auf denen ein weiterer Roboter fahren sollte. Die Reinigung wurde nach nur einem Meter gestoppt. Die Kamera, ausgelegt auf eine Belastung von insgesamt rund 1.000 Sievert, war nach nur zwei Stunden ausgefallen. Betreiber Tepco teilte mit, die Strahlenintensität an der Einsatzstelle werde auf rund 650 Sievert pro Stunde geschätzt.

Das Aufräumen verzögert sich

Die hohen Strahlungswerte verkomplizieren die geplante Bergung des Brennstoffs aus den drei von insgesamt sechs Reaktoren, in denen die Kerne bei dem Super-GAU am 11. März 2011 zumindest teilweise geschmolzen waren. Schon lange ist klar, dass die Überreste des stark strahlenden Materials nur mit Robotern entfernt werden können. Ein Experte des Nationalen Instituts für Strahlenforschung in Tokio kommentierte nun aber, man habe nicht damit gerechnet, mit solch hohen radioaktiven Belastungen umgehen zu müssen.

Dass der Fahrplan zur Beseitigung der havarierten Reaktoren eingehalten werden kann, wird wegen der hohen Strahlungswerte zunehmend unwahrscheinlich. Sie machen nicht nur das Arbeiten von Menschen unmöglich, sondern begrenzen auch die Einsatzzeiten der ferngesteuerten Geräte.

Der Sanierungsplan sah bisher vor, die leckgeschlagenen Sicherheitsbehälter bis 2021 zu reparieren und sie dann mit Wasser füllen, um die Strahlung abzuschirmen. Bis 2025 sollten die Überreste der teilweise geschmolzenen Brennstäbe entfernt werden, um die Reaktorgebäude abreißen zu können. Ein Abschluss der Arbeiten wird etwa Mitte des Jahrhunderts erwartet.

Nach sechs Jahren ist die Strahlenbelastung
in den explodierten Reaktoren noch enorm.
(Foto: Thierry Ehrmann/​Flickr)

Verbraucherschützer und Agrarproduzenten aus der Präfektur Fukushima kritisierten unterdessen Pläne der Regierung in Tokio, die Radioaktivitätskontrollen von Lebensmitteln aus dem weiteren Umfeld des havarierten Atomkraftwerks zu reduzieren. Tokio will die Kontrollen für landwirtschaftliche Produkte aus 17 Präfekturen lockern, da dort seit geraumer Zeit keine Überschreitungen der Grenzwerte mehr festgestellt worden seien. Die Maßnahme soll die durch die Kontrollen auflaufenden Kosten senken. Die Kritiker argumentierten jedoch, Tokio habe die Grenzwerte für belastete Agrarprodukte zu hoch angesetzt. Es sei daher zu früh, die Kontrollen herunterzufahren.