Die Wasserflüsterin

Von Konstanze Walther aus Alpbach (Wiener Zeitung 19.8.2016)

  • Rita Colwell stellte einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Anstieg von Infektionen fest.

Alpbach. Der Klimawandel führt über die Erwärmung der Meere zu einer Häufung von Infektionskrankheiten. „Dieser Zusammenhang ist ziemlich dramatisch“, sagt Rita Colwell. Die 81-jährige Mikrobiologin, die anlässlich der Seminarwoche des Europäischen Forum Alpbach zu Gast ist, nimmt Worte wie „dramatisch“ nicht leichtfertig in den Mund. Aber es geht um das Ergebnis ihrer jüngsten Forschungsarbeit, die vergangene Woche in dem Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht worden ist. Colwell und ihr Team haben die Wassertemperatur und die Planktonentwicklung im Nordatlantik in den vergangenen 50 Jahren untersucht. Da die Meerestemperatur in diesem Zeitraum um 1,5 Grad Celsius angestiegen ist, hat sich mehr Plankton entwickelt. „Im Nordatlantik wird seit 50 Jahren jede Woche das Plankton untersucht, das sich an dem Unterbauch von Schiffen ablagert. Wir haben aus dem Plankton die Erbinformation (DNS) extrahiert und so auch die DNS der Bakterien, genauer gesagt von Vibrionen, bestimmen können. So haben wir herausgefunden, dass das Aufkommen der Bakterien im Meer sechs Mal höher ist als vor 50 Jahren“, erklärt Colwell im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“. Die Bakterien reichen von den Erregern von Durchfallerkrankungen bis hin zu dem Stäbchenbakterium Vibrio Vulnificus, das in den Worten von Colwell „äußerst scheußlich ist: Wenn man eine offene Wunde hat, reicht ein kleiner Schnitt oder eine Abschürfung, und das Bakterium kann in das Gewebe eindringen und die Organe zersetzen. Das Bakterium kann dich in wenigen Tagen töten.“

Und wenn Bakterien erst einmal aufkommen, ist es schwierig, sie wieder zu bändigen: „Bakterien bleiben nicht einfach in der Ecke sitzen. Sondern sie bewegen sich überall hin.“

Ihr immenses Wissen über die Welt der Kleinstlebewesen hat sich Colwell durch jahrzehntelange Forschung zu Cholera in Bangladesch und Indien angeeignet – und um die Mikroben zu verstehen, die die Krankheit mit sich bringen, müsse man verstehen, unter welchen klimatischen Bedingungen sie sich ausbreiten. Colwell hat schließlich ein Modell entwickelt, wie man Cholera-Ausbrüche exakt vorhersehen kann – und zwar mittels Satellitenbildern der Nasa. Auf denen könne man etwa im Golf von Bengalen genau erkennen, wann das Planktonwachstum vor der Küste seinen Höhepunkt erreicht. Dann ist davon auszugehen, dass in sechs bis acht Wochen die Bakterien in den Bäuchen der Ruderfußkrebse, einer Gruppe von Zooplankton, gereift und in die Flüsse transportiert worden sind. Danach führt das eine wieder zum anderen: Die Küstenregion am Golf von Bengalen wird zweimal im Jahr – Frühling und Herbst – von einem Cholera-Ausbruch heimgesucht. „Das Faszinierende an diesen Bakterien ist, dass sie zwischen diesen Zyklen in eine Art Winterschlaf gehen, sodass man sie in diesem Zustand nicht einmal mehr entdecken kann.“ Deswegen sei es der Forschung auch noch nicht gelungen, das Bakterium zu isolieren und auszurotten. Denn während es sich im „Ruhezustand“ befindet, kann man es auch nicht im Labor züchten.

Kritik an Gates-Stiftung

„Das zeigt einmal mehr, dass wir Menschen tief verschlungen mit der Umwelt sind. Wir können unsere Umwelt nicht so kontrollieren, wie wir das gerne möchten. Wir sind nur Teil eines hochkomplexen Systems.“ Vorsorge helfe mehr als eine Kampfansage: Für Colwell sind Hygiene und sachgemäße Entsorgung von Abwasser das Um und Auf für die Begrenzung von Krankheiten. „So sehr ich die Stiftung von Bill und Melinda Gates auch schätze, mir wäre es lieber, wenn sie sich statt ihrer Impfprogramme in Entwicklungsländern um die Schaffung von Sanitäranlagen kümmern würde. So könnte man viel mehr Krankheiten bekämpfen“, sagt Colwell.

Colwells Cholera-Modell lässt sich im Übrigen auch auf die Einschätzung der Verbreitung des Zika-Virus übertragen. „Es heißt zwar, dass Cholera eine wasserbezogene Krankheit und Zika im Gegensatz dazu eine Vektorenkrankheit ist – die also Krankheitsüberträger für den Transport braucht, in dem Fall Moskitos. Aber auch Cholera ist eine Krankheit, die von Erregern, sogenannten Vektoren, übertragen wird, nämlich über die Ruderfußkrebse“, also zoologischem Plankton. „Allerdings gehen ja viele Forscher bei der Einteilung der verschiedenen Übertragungsmodelle davon aus, dass Vektoren Flügel haben und fliegen können. Plankton verhält sich genauso wie ein Vektor, indem es die Bakterien mit sich trägt.“

Der Zika-Moskito braucht auch Wasserstellen, um die Eier zu legen. Also sind die klimatischen Vorgaben wichtig. Der Forschung zufolge ist der Höhepunkt der Zika-Epidemie in Brasilien schon fast überstanden. Dagegen hat ihn etwa die karibische Insel Puerto Rico noch vor sich.

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Zur Person

Rita Colwell

hat neben Ozeanografie und Genetik auch einen Abschluss in Bakteriologie. Sie ist Professorin für Molekularbiologie an der Universität von Maryland. Beim Europäischen Forum Alpbach 2016 ist sie eine der Vorsitzenden des Seminars zum Thema Wasser und Gesundheit.